Themen: NS-Zwangsarbeit - Zwangsarbeiterkind   in Duderstadt KZ-Außenlager Jüdische Gemeinde: Geschichte -  jüdischer Friedhof Friedhof 1953 Vernichtung Stolpersteine  Nationalsozialismus  und Duderstadt - Verdrängte Realität - Bgm. Dornieden - Richter Trümper - Priester R. Kleine Nachgeschichte des Nationalsozialismus:  - bürgerliche Alt-Nazis  - Kriegsgräber  - Anreischke  - Rechtsextremismus Friedensglobus Kriegsgefangene Hinweis: Die Geschichtswerkstatt Duderstadt e.V. wurde vom Finanzamt Northeim als gemeinnützig anerkannt und kann Spendenquittungen ausstellen. Bankverbindung der Geschichtswerkstatt: Sparkasse Duderstadt (BLZ 26051260), Konto Nummer 116830
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Bürger verbunden in nationalsozialistischer Gesinnung: Hans Grimm in Duderstadt
Beim Blättern im Jahrgang 1950 der Duderstädter Südhannoverschen Volkszeitung, die als katholisch-konservativ zu charakterisieren ist, stößt man auf die Überschrift „Hans Grimm spricht in Duderstadt“. Der Dichter werde, so die Ankündigung, am 8. Mai 1950 in der Aula des Gymnasiums „zur geistigen Situation unserer Zeit“ Stellung nehmen. Am 6.5.1950 folgte ein zweiter Hinweis auf die Veranstaltung. Die Zeitung titelte “Ein Willkommen für Hans Grimm” und schrieb: „Der Dichter des großen deutschen Romans ‚Volk ohne Raum’ verlässt das alte Klosterhaus auf dem Lippoldsberg an der Weser unweit Göttingen, um nach langem Schweigen das Wort an uns zu richten. Sein erster Weg nach Deutschlands Zusammenbruch führt ihn in unsere Grenzstadt im Herzen Deutschlands.“ Daran anschließend wurde Grimm dargestellt als Ratgeber für deutsche Menschen, die bei ihm geistige Wegweisung und seelische Hilfe suchten. Er wurde vorgestellt als Autor, der in seinem neuesten Werk „Die Erzbischofsschrift“ eine mutige Antwort auf den Vorwurf der „Kollektivschuld“ und zu dem den Deutschen zugefügten Unrecht gebe. Hans Grimm war eingeladen worden durch den Leiter der Kreisvolkshochschule, Dr. Hellberg, und durch die Duderstädter Buchhändler - das waren die Inhaber der Buchhandlungen Mecke, Seseke und Wagner. Grimm war selbst 1950 noch ein entschiedener Verteidiger des Nationalsozialismus. In der genannten und gerühmten “Erzbischofsschrift” rechtfertigte er den Nazi-Terror im “Dritten Reich”. Der Nationalsozialismus sei von seinem Ursprung her eine höchst moralische, geradezu religiöse Bewegung gewesen, die mit ihren Vorstellungen von Brüderlichkeit und gegenseitiger Verpflichtetheit der Volksgenossen für die gesamte Menschheit hätte von Nutzen sein können. In dem Umstand, dass die „Teilnehmer an der Bewegung“ eine gemeinsame Abneigung „gegen den Kommunismus und gegen ein auflösendes Judentum“ pflegten und statt Brüderlichkeit rücksichtslose Ausgrenzung bis hin zum Mord praktizierten, sah Grimm dennoch nichts Verwerfliches. Den NS-Terror gegen Andersdenkende, die Abschaffung des Rechtsstaats und der demokratisch-freiheitlichen Ordnung wusste Grimm sehr wohl zu rechtfertigen: “Einmal musste die Volkseinheit, und sei es durch Zwang, hergestellt werden, zeitweilig mussten die ewigen Kritiker und Querulanten und die Träger geistiger Vergiftung und geschlechtlicher Morbidität ausgeschieden und die kalte Geldmacht aufgehalten werden, einmal musste der Staat … sich durchsetzen gleich einer Schiffsführung in höchster Not; und höchste Not bestand.“ Der zweite Weltkrieg, so Grimm, wurde Hitler als Präventivkrieg aufgezwungen durch die “offen bekannte Vernichtungsabsicht” der Engländer gegenüber Deutschland. Über eine Kriegsschuld der Deutschen sei also nicht zu sprechen. Kriegsverbrechen der Wehrmacht verwies er in den Bereich propagandistischer Unwahrheiten. Zwangsarbeit wurde in seiner Darstellung zur Wohltat gegenüber den Betroffenen. Ein Verbrechen sah er nicht. Dagegen leugnete Grimm den Völkermord an den Juden nicht. Hier sah er “Hitlerismus”, also letztlich nur einen dafür Verantwortlichen. Und er relativierte dieses Verbrechen, um es zu minimieren. (Siehe dazu den Text in der rechten Spalte!) Wie war nun die Reaktion auf die geistige Wegweisung durch Hans Grimm in Duderstadt? Das Göttinger Tageblatt schrieb über das, was auf die Lesung Grimms folgte: Demnach weilte er noch „einige Stunden im Kreise seiner Duderstädter Freunde … man versteht, dass seine Dorfgemeinde zu ihm wie zu einem Vater steht. Dem Dichter ist es gegeben, Vertrauen einzuflößen. Vertrauen zu dem deutschen Menschen wieder. Und auch Stolz auf dieses Deutschsein!“ [1] Es war ein Bericht aus erster Hand, denn Dr. Hellrung hatte ihn verfasst. Das Beisammensein bestärkte also bürgerliche Alt-Nazis in ihrer Gesinnung. Protest gegen Grimm und die Dichterlesung ist in Duderstadt nicht überliefert. Der Leiter der Kreisvolkshochschule wurde nicht fristlos seines Postens enthoben. Im Gegenteil, etwa ein Jahr später drückte der Kreistag, in dem die CDU über eine große Mehrheit verfügte, sein Bedauern darüber aus, dass Dr. Hellberg Duderstadt verließ. Auch gegen das Wirken der Buchhändler erhob sich kein Widerspruch, jedenfalls ist davon nichts überliefert. Niemand ist bekannt, der Anstoß genommen hätte. Vielmehr schob die Südhannoversche Volkszeitung am 21. Juli 1950 sogar noch einen weiteren Grimm-Artikel auf ihrer Duderstädter Lokalseite nach, nämlich einen Bildbericht über ein „Dichtertreffen bei Hans Grimm“ mit Will Vesper, Erwin Guido Kolbenheyer und Heinrich Zillich sowie mehreren tausend Zuhörern, welche diese aus dem Dunstkreis der Nazi-Zeit bekannten und inspirierten Autoren mit Ovationen begrüßten. (1) “Plauderstunde mit Hans Grimm”, Göttinger Tageblatt, Ausgabe Duderstadt vom 15.5.1950 (Die auf dieser Seite zitierten Äußerungen Grimms sind entnommen seinem Buch Die Erzbischofsschrift. Antwort eines Deutschen, Göttingen 1950, Seite 17-50.)  
  Hans Grimm und der Holocaust
Den Völkermord an den Juden leugnete Grimm dagegen nicht, sondern nennt ihn eine unmenschliche Untat.   Er habe sich aber, so Grimm, „an den Kopf gefasst“, als Pfarrer Niemöller in einer Göttinger Kirche von 6 Millionen getöteter Juden redete. Das sei eine Propagandaziffer. Und Grimm findet in seinem Buch Wege, das deutsche Volk, wenn schon nicht von Schuld freizusprechen, so doch erheblich zu entlasten durch den Verweis auf andere. Nicht nur, deass er hier “Hitlerismus” am Werk sah.Er erwähnt auch die von König David eroberte Stadt Rabba der Ammoniter und zitiert aus der Luther-Bibel: „Aber das Volk drinnen führte er [König David] heraus und legte sie unter eiserne Sägen und Zacken und eiserne Keile und verbrannte sie in Ziegelöfen. So tat er allen Städten der Kinder Ammon.“ [Zweites Buch Samuel 12, Vers 31.] Daran schloss Grimm an: „Ich will dartun, dass unmenschliche Verwirrung selbst die Propheten überfiel und anscheinend, wo ein Volk gequält wird, immer wieder entsetzlich auszubrechen vermag bis hinein in unsere Zeit.“ Das, was wir heute den Holocaust nennen, erscheint bei Grimm sozusagen als eine Fortsetzung dessen, was vergleichbar dem biblischen Volk Gottes auch schon unterlief, nur eben diesmal mit umgekehrten Vorzeichen, also gegen die Juden gerichtet. – Klein und kleiner wird bei solcher relativierender Sichtweise die Verantwortung der Deutschen für den von ihnen an den europäischen Juden mit den Mitteln des modernen Industriestaats begangenen Völkermord.