Themen: NS-Zwangsarbeit - Zwangsarbeiterkind   in Duderstadt KZ-Außenlager Jüdische Gemeinde: Geschichte -  jüdischer Friedhof Friedhof 1953 Vernichtung Stolpersteine  Nationalsozialismus  und Duderstadt - Verdrängte Realität - Bgm. Dornieden - Richter Trümper - Priester R. Kleine Nachgeschichte des Nationalsozialismus:  - bürgerliche Alt-Nazis  - Kriegsgräber  - Anreischke  - Rechtsextremismus Friedensglobus Kriegsgefangene Hinweis: Die Geschichtswerkstatt Duderstadt e.V. wurde vom Finanzamt Northeim als gemeinnützig anerkannt und kann Spendenquittungen ausstellen. Bankverbindung der Geschichtswerkstatt: Sparkasse Duderstadt (BLZ 26051260), Konto Nummer 116830
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Andreas Dornieden - Bürgermeister von 1933-1945 Bürgermeister Andreas Dornieden hatte zwei sehr unterschiedliche Gesichter. Zum einen das desjenigen, der als NSDAP-Kreisleiter von 1933-1937 und  als NS-Bürgermeister von 1933-1945 in Duderstadt dem verbrecherischen „Dritten Reich“ diente und dabei seine nationalsozialistische Grundüberzeugung mit dem christlichem Glauben vereinbaren konnte. Ansehen errang er sich auch dadurch, dass er sich für die Verbesserung der Infrastruktur von Duderstadt einsetzte und für viele Anliegen der Einwohner nach Kräften eintrat – allerdings begrenzt auf die „Volksgenossen“. Die Maske, die er sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges aufsetzte, war dann das Gesicht eines Mannes, der nicht nur seine ganze Arbeitskraft dem Wohl der Stadt und ihren Bewohnern gewidmet, sondern dabei auch frühzeitig begonnen hatte, sich vom Nationalsozialismus abzuwenden und innerlich zu seinem  Gegner zu wandeln. Die Täuschung gelang und führte dazu, dass Dornieden, der prominenteste Nationalsozialist des Untereichsfeldes, im  Entnazifizierungsverfahren mit Unterstützung durch viele Duderstädter als Entlasteter eingestuft wurde.
Andreas Dornieden war von 1933 bis 1945 Bürgermeister der Stadt Duderstadt. Das Amt des Kreisparteileiters der NSDAP im Landkreis Duderstadt übte er von 1933-1937 und dann wieder während des Zweiten Weltkrieges von 1939-1941 in Vertretung seines zur Wehrmacht eingezogenen Nachfolgers aus. 1936 wurde er zum Mitglied des Reichstags ernannt. Kurz, er war der prominenteste Nationalsozialist im Untereichsfeld und auch nach 1945 von der Richtigkeit seines Handelns überzeugt, weil, wie er sich 1948 im Entnazifizierungsverfahren zuschrieb, „meine Tätigkeit als Bürgermeister u. nebenamtlicher Kreisleiter weitgehend von der Sorge um das Wohlergehen der Bevölkerung bestimmt wurde und mein Verbleiben in den Ämtern im ureigensten Interesse der Allgemeinheit lag, da ich nicht nur keinen Missbrauch getrieben, sondern auch den beabsichtigten Missbrauch anderer unter vollem Einsatz meiner Person nach Kräften verhindert habe“. [1]   Das sahen andere in Duderstadt ähnlich. Der Duderstädter Propst Ernst  bescheinigte ihm 1945: „Ich habe Herrn Dornieden in der Zeit vom März 1943 bis April 1945 in Duderstadt kennengelernt. In dieser Zeit hat Herr Dornieden regelmäßig und öffentlich am Gottesdienst und Sakramentenempfang teilgenommen. Dem kirchlichen Leben in der Stadt hat er keinerlei Schwierigkeiten bereitet und stand den kirchlichen Einrichtungen als Bürgermeister wohlwollend gegenüber.“ [2] Adolf Bolte, Weihbischof von Fulda, erklärte 1947, Propst Algermissen, der Vorgänger von Propst Ernst, habe ihm gesagt, Dornieden sei „ein treuer, aufrechter Katholik, er setzt sich für die Erziehung der Jugend im christlichen Sinne ein, er hilft, dass katholische Einrichtungen erhalten bleiben. Ich habe ihn direkt gebeten, sein Amt nicht niederzulegen, sondern im Interesse der Kirche weiterzuführen.“ [3] .  Zahlreiche Einwohner von Duderstadt stellten Dornieden weitere so genannte „Persilscheine“ aus – eidesstattliche Erklärungen, die ihn von seinem verantwortlichen Mittun im NS-Staat entlasteten. Solche entlastenden Bestätigungen der eigenen Aussagen einzuholen war nach 1945  gängige Praxis der Beschuldigten und vor der Spruchkammer Angeklagten. Christina Ullrich hat diese Vorgehensweise beschrieben: „Die eidesstattlichen Erklärungen hatten aus Sicht der Betroffenen den Zweck, die eigene Argumentation und Darstellung zu belegen und die Sicht der Spruchkammern zu widerlegen. Die Leumünder wurden gezielt ausgesucht, um den Bestätigungen möglichst viel Gewicht und Glaubwürdigkeit zu verleihen. Auch die Inhalte waren nicht willkürlich, sondern wurden genau von den Betroffenen vorgegeben, indem sie darum baten, dass man ihnen bestimmte Dinge bestätigen möge.“[4]  Nun hatte Bürgermeister Dornieden sich aber in der Amtszeit der beiden Pröpste nicht nur als praktizierender und treuer Katholik gezeigt, sondern war entgegen der eigenen Darstellung und öffentlich erkennbar, auch als aktiven Parteigänger der NSDAP für vieles unrechtmäßige Handeln während der NS-Zeit in Duderstadt mitverantwortlich geworden. Andreas Dornieden war 1933 ein Totengräber der Demokratie im Untereichsfeld. Als Kreisparteileiter der NSDAP setzte er die rechtswidrige Amtsenthebung zahlreicher Bürgermeister durch und verhinderte den Amtsantritt mehrerer im März noch demokratisch gewählter Gemeindevorsteher. Er war Antisemit und beteiligt an der Unterdrückung und Verfolgung der Juden in Duderstadt. Er war Rassist und wirkte mit am Verbrechen der NS-Zwangsarbeit. Er wandelte sich keineswegs, wie er nach 1945 behauptete, in den Anfangsjahren des „Dritten Reiches“ zum Gegner der Nazi-Ideologie. So sagte er zum Beispiel am  8.10.1940 in einer Rede: „Die Lehren und Grundsätze der nationalsozialistischen Weltanschauung müssen in der Bevölkerung immer tiefer verankert werden, damit alle auch die Ereignisse unserer Tage unter nationalsozialistischem Blickwinkel sehen und die zuversichtliche Stimmung und das Vertrauen zum Führer weiter wachsen.“[5] Im Krieg rief er dazu auf, Opfer „bis zum Letzten“ [6]  zu erbringen. Im Entnazifizierungsverfahren 1948 gelang es Andreas Dornieden mit Hilfe seiner Duderstädter Zeugen, den Entnazifizierungs- Hauptausschuss von seiner Gegnerschaft gegenüber dem Nationalsozialismus zu überzeugen. So kam es zu dem absurden Ergebnis, dass Andreas Dornieden, welcher an führender Stelle im Untereichsfeld einem von Grund auf verbrecherischen System bis 1945 gedient hatte, als Entlasteter eingestuft wurde. Andreas Dornieden starb am 4. März 1976 in Herne. Nun vollendete die Stadt Duderstadt seine Entnazifizierung. Sie veröffentlichte einen Nachruf, in dem sie ihm „herzlich Dank“ sagten und ein „ehrendes Gedenken“ zusicherten [7]. Die Dimension seines Wirkens als Nationalsozialist erwähnte sie nicht. Aber das Versprechen des wertschätzenden Gedenkens wurde eingehalten. Ein Bild Dorniedens hängt heute in einer Fotogalerie der früheren Bürgermeister im Stadthaus, ohne Unterscheidung – als sei er auch gegenwärtig für Duderstadt gleichermaßen ehrenwert wie die Bürgermeister der anderen Jahre. [1] HStA Hannover: Hann 171 Hild. Nr. 21490.      [2] Kreisarchiv Göttingen: LK DUD Nr. 20.      [3] HStA Hannover: Hann 171 Hild. Nr. 21490.      [4] Ullrich, Christina (2011): S. 71 f.      [5] „Die Winterarbeit der Partei beginnt“, Südhannoversche Zeitung      am 8.10.1940. [6] “Wir werden opfern bis zum Letzten! - Dann wird der Sieg unser           sein!”, Südhannoversche Volkszeitung am 16.10.1939. [7] Anzeige im SPOT, 26.3.1976.   [Als weiterführende Literatur erscheint demnächst in der Schriftenreihe der Geschichtswerkstatt Duderstadt: Götz Hütt, Duderstadt nach dem Nationalsozialismus. Zur Geschichte und Nachgeschichte der NS-Zeit im Untereichsfeld.]