Einweihung des Friedensglobus
Götz Hütt: Ansprache bei der Feier zur Einweihung des Friedensglobus am 8. Mai
2012 in der Christian-Blank-Straße in Duderstadt
… Zunächst gehe ich auf die
Geschichte des alten Denkmals an
diesem Ort ein. Als der Verein der
ehemaligen Lehrer und Schüler
des Duderstädter Gymnasiums
das Denkmal für die Kriegstoten
der Schule im Ersten Weltkrieg
hier einweihte, hatte er einen
breiten, weit über Duderstadt und
das Eichsfeld hinausreichenden
gesellschaftlichen, auch
kirchlichen Rückhalt. Enthüllt
wurde es am 2. September 1923.
Das war ein ganz bewusst gewählter Termin: der militaristisch geprägte
Sedanstag des Kaiserreiches, Feiertag des Sieges über Frankreich 1870/71. Die
Weimarer Republik hatte ihn als Feiertag abgeschafft.
Der Opfern von Kriegen, auch der ums Leben gekommenen Soldaten in Trauer
zu gedenken, wie hier durch den Trauerflor am Kreuz angedeutet, ist
grundsätzlich angemessen. Die Inschriften auf den Steinen dagegen erklären
den über Trauer hinausgehenden Sinn, den seine Stifter diesem Denkmal
zumaßen. „Dulce et decorum est pro patria mori“ – also: „Es ist süß und
ehrenvoll, für das Vaterland zu sterben.“ Und links: „Den Toten zur Ehre …“,
dann rechts weiter: „… den Lebenden zum Vorbild“. Das drückt eine politische
Zielsetzung aus, nämlich Sinngebung und Rechtfertigung für das massenhafte
Sterben auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges – und dazu dann den
Appell zur Nachfolge: „Den Lebenden zum Vorbild.“
Als Hauptredner des Begrüßungsabends 1923 hatte der Gymnasiumsverein den
General a. D. von Oven gewonnen. Der war ein radikaler Gegner der
Demokratie. Er drückte die Hoffnung aus, dass die Jugend dem
darniederliegenden Vaterland eine große Zukunft sichern werde, und zwar als
Führer der Menschheit. Dazu forderte er, die Deutschen sollten nicht zur
Völkerversöhnung erzogen werden, sondern „zum heiligen nationalen Hass und
zur Wehrhaftigkeit für den Kampf der Freiheit und der Rache“.[1] – Der
ehemalige Schüler des Gymnasiums und General a.D. von Schütz erklärte in
seiner Rede bei der Einweihung des Denkmals: Wir dürfen der Gefallenen
„nicht unwert werden und müssen kämpfen um Erhaltung und
Wiederherstellung ihres Erbes. Deutschland muss leben, und wenn wir sterben
müssen.“
Aus heutiger Sicht ist solche
geradezu kriegslüsterne
Verblendung leichter zu
durchschauen, als dies 1923 der
Fall war. Wir sehen, wie dem
Nationalsozialismus auch in
Duderstadt Wege bereitet
wurden. Der Schulleiter Dr.
Atzert allerdings, der das
gestiftete Denkmal sozusagen
entgegennahm, war Demokrat,
und sprach in einem ganz
anderen Sinne auch von den
Schrecken des Krieges. Er beendete seine Rede mit einem Gebet: „Herr, blicke
gnädig herab auf ein flehendes, betendes Volk – mach es groß und stark, Deine
Wege zu wandeln, die Wege der Ehrbarkeit, der Zucht und des Rechts, die
Wege der alles überwindenden, lebensbeglückenden Liebe.“[2]
Beim Überfall auf Polen am 1. September 1939 blieb die Begeisterung aus, die
1914 aufgebrandet war. Aber es mangelte nicht an Pflichtbewusstsein, diesen
Krieg zu führen, auch nicht an Freude und Dankbarkeit über die schnell
errungenen ersten Siege. Dafür zwei Beispiele. In einem gemeinsamen Wort der
katholischen deutschen Bischöfe vom 17.9.1939 hieß es: „In dieser
entscheidungsvollen Stunde ermuntern und ermahnen wir unsere katholischen
Soldaten, in Gehorsam gegen den Führer, opferwillig, unter Hingabe ihrer
ganzen Persönlichkeit ihre Pflicht zu tun.“[3] – Das dreiköpfige
Leitungsgremium der Deutschen Evangelischen Kirche, dem auch der für
Duderstadt zuständige hannoversche Landesbischof Marahrens angehörte,
nahm das Erntedankfest am 1.10.1939 in einer Kanzelabkündigung zum Anlass,
nicht nur, wie beim Erntedankfest üblich, für die Früchte des Feldes zu danken,
sondern zugleich für die Erfolge des Deutschen Reiches auf den
Schlachtfeldern in Polen. Das lautete so: „Aber der Gott, der die Geschicke der
Völker lenkt, hat unser deutsches Volk in diesem Jahr noch mit einer anderen,
nicht weniger reichen Ernte gesegnet.“[4] Die Kirchenführer glaubten also zu
wissen und ließen verkünden, dass Gott beim Polenfeldzug 1939 auf der Seite
des „Dritten Reiches“ stand.
Die Besiegelung der Niederlage am 8. Mai 1945, also heute vor genau 67
Jahren, führte nicht zu einem vollständigen Umdenken. Das Denkmal hier
wurde bewusst als Ort jährlicher Gedenkfeiern gewählt. 1958 wurden ihm die
Namen der Kriegstoten des Gymnasiums im Zweiten Weltkrieg auf den
seitlichen Bronzetafeln hinzugefügt. Die alten Sprüche blieben. Oberstudienrat
Kleine, Lehrer des Duderstädter Gymnasiums, sprach bei der Einweihung der
Namenstafeln davon, „dass das deutsche Volk zu einem gesunden
Nationalbewusstsein zurückfinden und dass es insbesondere seine Gefallenen
ehren müsse, wenn es sich nicht selbst aufgeben wolle. […] Man verneige sich
in Ehrfurcht vor der seelischen Größe der Toten, die ihr Letztes, ihr Leben für
Volk und Vaterland gegeben haben.“[5] Das an sich berechtigte Erinnern an die
Toten wurde also wieder auch als Mittel zu einem politischen Ziel in Anspruch
genommen. Dass die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges ein Verbrechen war
und dass sich auf dem beschönigten, glorifizierten Kämpfen und Sterben der
deutschen Soldaten in diesem Krieg kein „gesundes Nationalbewusstsein“
gründen ließ, diese Erkenntnis blieb dem Lehrer versagt. In anderen Jahren
wurden hier ähnliche Ansprachen gehalten. „Sie gaben ihr Leben für unser
Volk.“ – „Sie opferten ihr Leben für uns.“ Zwar traten die Redner jetzt für eine
Zukunft in Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit ein. Krieg dürfe sich nicht
wiederholen. Der Zweiten Weltkrieg jedoch blieb in ihrer Sichtweise das, als
was die Nationalsozialisten ihn propagiert hatten: eben ein Kampf für Volk und
Vaterland. Nur so konnten sie auch an einer Sinnhaftigkeit des Todes der
Gefallenen festhalten. Den Schülern, den jungen Menschen wurde insofern eine
falsche Orientierung gegeben – durch das Denkmal und durch solche davor
gesprochenen Worte.
Wir stellen diesen alten, verhängnisvollen und bis heute keineswegs gänzlich
überwundenen Denkweisen unseren Friedensglobus entgegen. Wir stellen ihn
dabei zugleich mitten in unsere Gegenwart. Er soll zu Fragen und zum
Nachdenken über unsere Zeit ebenfalls Anlass geben. Ich nenne einige solcher
Fragen:
- Nach 1945 hieß es: „Nie wieder Krieg!“ Wie kam es dazu, dass wir
inzwischen wieder ein Krieg führendes Land sind? Wie können wir den Frieden
wieder gewinnen?
- Wie ist es möglich, dass es in Deutschland einen so breiten Bodensatz
neonazistischen Denkens gibt?
- Warum wird in Deutschland so viel Gewalt gegen Kinder ausgeübt? (52
Prozent der Kinder erleben hier eine gewaltfreie Erziehung, 48 Prozent also
nicht.)
- Warum legt unser Land so viel Wert auf den Rüstungsexport, selbst in
Spannungsgebiete? Müssten wir das ändern?
- Schließlich: Leben wir verträglich im Hinblick auf die nachfolgenden
Generationen, wenn wir weiterhin radioaktiven Müll produzieren und ihnen
hinterlassen?
Jeder von Ihnen, den hier Anwesenden, ist in der Lage, die Reihe der Fragen, zu
denen der Friedensglobus anregen kann, fortzuführen.
[1] Zitiert nach Bormann (2001).
[2] A.a.O.
[3] Zitiert nach Prolingheuer/Breuer (2005), S. 185.
[4] Zitiert nach Beckmann, Joachim (Hrsg., 2. Aufl. 1976): Kirchliches Jahrbuch: S. 454.
[5] Göttinger Tageblatt vom 8.9.1958.
Antrag der Geschichtswerkstatt Duderstadt vom 27.4.2010
an den Landkreis Göttingen,
bei der Astrid-Lindgren-Schule in Duderstadt
ein zum Frieden mahnendes Denkmal aufstellen zu dürfen
Sehr geehrter Herr Landrat!
Hiermit beantragen wir, im Zentrum der Rasenfläche des Denkmals für
die in den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts getöteten
Lehrer und Schüler des Duderstädter Gymnasiums vor der heutigen
Astrid-Lindgren-Schule in der Christian-Blank-Straße in Duderstadt
einen zusätzlichen Stein mit einer Friedenstaube und dem Wort
„Frieden“, eventuell in mehreren Sprachen, aufstellen zu dürfen. Die
Kosten dafür werden wir mit Hilfe von Spenden aufbringen.
Begründung:
Das Denkmal für die in den beiden Weltkriegen des letzten
Jahrhunderts getöteten Lehrer und Schüler des Duderstädter
Gymnasiums befindet sich in gepflegtem Zustand in der Christian-
Blank-Straße vor der Astrid-Lindgren-Schule in Duderstadt. Es trägt auf
seinem Hauptstein einen Vers des römischen Dichters Horaz als
Inschrift: Dulce et decorum est pro patria mori – also: Es ist süß und
ehrenvoll, für das Vaterland zu sterben. Dazu, das Christliche und das
Nationale eng verbindend, ein Kreuz mit Trauerflor und darüber ein
Adler, der einen Lorbeerkranz im Schnabel trägt. Der lateinische Spruch
wird auf weiteren Steinen daneben in deutscher Sprache ergänzt durch
den Zusatz „Den Lebenden zum Vorbild“ und durch Bronzetafeln mit
den Namen der Toten.
Erinnerung an die in zwei Weltkriegen getöteten Lehrer und Schüler des
Duderstädter Gymnasiums – ein Denkmal des Militarismus und
Revanchismus vor der heutigen Astrid-Lindgren-Schule in Duderstadt.
Hierbei handelt es sich nicht um ein rein historisches Monument. Opfer
und Täter der NS-Herrschaft und des Zweiten Weltkrieges leben immer
noch unter uns, ebenso wie engste Familienangehörige der Toten jener
Zeit. Unsere Gegenwart wird spürbar von den Kriegsfolgen
mitbestimmt. Es handelt sich somit immer noch um ein Denkmal zur
Geschichte unserer Zeit.
Der Opfer von Kriegen, auch der ums Leben gekommenen Soldaten in
Trauer zu gedenken, ist grundsätzlich angemessen. Entscheidend ist
jedoch, in welcher Form das geschieht. An den Inschriften des
sogenannten Ehrenmals in der Christian-Blank-Straße ist nichts
wahrhaftig und wahr. Dieses Denkmal entstand 1923 aus einer
revanchistischen, militaristischen und antidemokratischen
Geisteshaltung heraus. Dennoch wurde seine Tradition nach 1945
weiter gepflegt und auf die Erinnerung an die im Zweiten Weltkrieg
getöteten Lehrer und Schüler des Gymnasiums ausgeweitet. Auch
ihnen ist bei diesem Denkmal der Horaz-Spruch und die Mahnung „Den
Lebenden zum Vorbild“ zugeschrieben. Doch die Kriegsziele des
deutschen Kaiserreiches im Ersten Weltkrieg waren nicht ehrenwert.
Und im Zweiten Weltkrieg für Verbrechen des Dritten Reiches, also für
die Unterwerfung und Ausbeutung anderer Staaten und Völker, für die
Vernichtung der europäischen Juden gekämpft zu haben (und sei es
über die wahren Absichten getäuscht und in gutem Glauben), kann
noch weniger als ehrenvoll und vorbildlich dargestellt werden. Jenes
Denkmal, welches dies dennoch tut, vermittelt daher ein falsches
Geschichts- und Weltbild. Das beinhaltet auch, es missbraucht die
Namen der Toten für seine politischen Zwecke. Sie werden nicht, wie
vorgegeben wird, geehrt, sondern in Wahrheit wird ihr schlimmes
Schicksal missachtet. Ihr grausamer Tod sei süß gewesen. Das müsste
ihnen wie Hohn erscheinen.
Das Denkmal vor der Astrid-Lindgren-Schule steht auf dem
Schulgrundstück selbst. Daher ist auch das Niedersächsische
Schulgesetz zu beachten. Dieses schreibt in § 2 vor, die Schulen sollen
„die Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler auf der Grundlage des
Christentums, des europäischen Humanismus und der Ideen der
liberalen, demokratischen und sozialen Freiheitsbewegungen
weiterentwickeln“ und sie unter anderem dazu befähigen, „den
Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere die Idee einer
gemeinsamen Zukunft der europäischen Völker, zu erfassen und zu
unterstützen und mit Menschen anderer Nationen und Kulturkreise
zusammenzuleben“. Dazu ist dieses Denkmal trotz des verwendeten
Kreuzzeichens nicht geeignet, da es weder christliche noch
humanistische Werte und auch nicht Ideen der liberalen,
demokratischen und sozialen Freiheitsbewegungen vermittelt, sondern
im Gegenteil den Kampf für unchristliche, inhumane und Freiheit
unterwerfende Ziele in den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts
verherrlicht. Somit entspricht es nicht dem Geist der Grundwerte des
Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und der
Niedersächsischen Verfassung und steht dem Auftrag der Schule
entgegen, „die Wertvorstellungen zu vermitteln, die diesen
Verfassungen zugrunde liegen“. Es muss also aus der Sicht unseres
demokratischen Staates und des Bildungsauftrags öffentlicher Schulen
als in höchstem Maße anstößig bezeichnet werden.
Seit Jahrzehnten schon wurden immer wieder vergeblich Einwände
gegen dieses Denkmal in Duderstadt vorgetragen. Dass hier Abhilfe zu
schaffen sinnvoll sei, hat das Amt für Schule, Sport und Kultur des
Landkreises Göttingen, also Herr Wucherpfennig, mit Schreiben vom
1.3.2006 an die Geschichtswerkstatt Duderstadt anerkannt.
Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen dieses Amtes der
Kreisverwaltung war, das Denkmal als historisches Zeugnis des
„chauvinistisch-nationalistischen Denkens“ in weiten Teilen des früheren
„(Bildungs-)Bürgertums der Stadt“ Duderstadt zu erhalten, es aber um
eine heute angemessen erscheinende andere Sichtweise zu ergänzen.
Letzteres zumindest ist unerlässlich, weil, wie dargestellt, das Denkmal
von zeitgeschichtlicher Bedeutung ist. Die 2006 begonnenen
Überlegungen haben jedoch bis heute immer noch nicht zu einem
Ergebnis geführt. Wir sind der Ansicht, 65 Jahre nach der Kapitulation
der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 sei es längst überfällig,
diesem Dokument des Militarismus, wenn es schon nicht geschleift
wird, ein deutliches Zeichen entgegenzusetzen, das mit dessen
verhängnisvoller Denkweise bricht und den Friedenswillen hervorhebt.
Deshalb stellen wir den obigen Antrag und hoffen, das Friedensdenkmal
im November 2010 einweihen zu können.
Der Antrag