Literatur:
Götz Hütt:
Urteile des
Sondergerichts Kalisch
und der Richter
Ferdinand Trümper
aus Duderstadt,
Norderstedt 215,
132 Seiten, 9,90 €
Leseprobe:
Ein angesehener Richter mit
nationalsozialistischer Vergangenheit
Die Wiedereinstellung Ferdinand Trümpers nach 1945 als
Richter in Niedersachsen war Teil des Versagens der
Bundesrepublik Deutschland im Umgang mit früheren
Angehörigen der Justiz des „Dritten Reiches“. Während des
Zweiten Weltkrieges war Trümper 1942/1943 als Richter am
Sondergericht beim Landgericht Kalisch im Warthegau tätig
gewesen und an Unrechtsurteilen überwiegend gegen Polen
beteiligt. Im Entnazifizierungsverfahren erreichte er durch
Verschweigen und Lügen seine Entlastung und stieg
schließlich in seiner Heimatstadt Duderstadt zum Leiter des
Amtsgerichts auf. Zur Rechenschaft gezogen wurde er nie.
Ferdinand Trümper hatte nach der Entlassung aus der
Kriegsgefangenschaft seine Beteiligung an Verbrechen des „Dritten
Reiches“ während des Zweiten Weltkrieges geleugnet und
verschwiegen. Bekannte aus Duderstadt, die gar nicht wissen
konnten, was er während des Krieges in der Ferne getan hatte,
bescheinigten ihm, als katholischer Christ Gegner des
Nationalsozialismus gewesen zu sein. So erreichte Trümper im
Entnazifizierungsverfahren, als „unbelastet“ eingestuft und 1949
wieder als Richter verwendet zu werden, zuerst in Herzberg am
Harz und dann in seiner Heimatstadt Duderstadt, wo er, ein
früherer Nazi-Richter, schließlich zum Leiter des Amtsgerichts
aufstieg.
Über seine Tätigkeit während des Zeiten Weltkrieges gibt es
drei Varianten der Darstellung. Die eine: Er war von Anfang bis
Ende des Krieges Soldat. Das war die zu seiner Verabschiedung
aus dem Richterdienst im Jahr 1969 in der Presse verbreitete
Version. Die andere Variante ist seiner Entnazifizierungsakte von
1948 zu entnehmen: Er war im Reichsgau Wartheland (also in
einer von Polen annektierten Region) am Aufbau einer
Justizbehörde beteiligt. Das klingt nach einer Verwaltungstätigkeit.
Was er aber wirklich getan hatte, steht drittens in der Personalakte
seiner Dienstzeit als Richter bis 1945, die im polnischen
Staatsarchiv in Posen erhalten ist, sowie in den Gerichtsakten des
Sondergerichts Kalisch, die im Staatsarchiv im polnischen Kalisz
aufbewahrt werden. Danach gehörte er 1942/1943, bevor er dann
tatsächlich Soldat wurde, einer Kammer des Sondergerichts
Kalisch an, das seine „Recht“-Sprechung auf Unrechtsgesetze und
nationalsozialistische Ideologie gründete. Dieses Sondergericht
urteilte insbesondere über deutsche Kritiker des
nationalsozialistischen Regimes und es urteilte – so die Sicht der
Richter entsprechend der nationalsozialistischen Rassenideologie
– über polnische „Untermenschen“. Ferdinand Trümper war,
soweit überliefert, am Sondergericht Kalisch an 95 Verfahren
gegen 152 Personen beteiligt, 23 Deutsche und 129 Polen. Die
Deutschen wurden zu Gefängnis- oder Zuchthausstrafen verurteilt,
die Polen zu härterer Straflagerhaft. Die Folterung von von Polen
bei den Verhören durch die Polizei hielt die Strafkammer, der
Trümper angehörte, für angebracht. Ferdinand Trümper war an drei
Todesurteilen beteiligt. Aber auch die zu befristeter Haft verurteilten
Polen konnten nach Verbüßung der verhängten Freiheitsstrafe
keineswegs alle darauf rechnen, tatsächlich freigelassen zu
werden. Vielmehr war es verordnete Justizpraxis, die zu längerem
Freiheitsentzug (zu mehr als sechs bzw. zeitweise zu mehr als
zwölf Monaten) Verurteilten nach der Strafverbüßung an die
Sicherheitspolizei zu übergeben. Ihr Schicksal sollte sein:
„Vernichtung durch Arbeit“ in einem Konzentrationslager. Diese
Praxis war der Richterschaft bekannt. Sie traf auf 111 der unter
Beteiligung von Ferdinand Trümper verurteilten 129 Polen zu.
Damit war Ferdiand Trümper nicht direkt an der systematischen
Tötung von Menschen beteiligt, aber er leistete Beihilfe dazu.
Besonderen Wert legte das Sondergericht Kalisz den
Urteilsbegründungen zufolge darauf, mit seiner Rechtsprechung
die Herrschaft des „Dritten Reiches“ im Warthegau abzusichern,
insbesondere gegenüber der polnischen Bevölkerung durch
abschreckende Urteile, also durch die Ausübung von Terror. Den
ideologischen Rahmen der gegen Polen verhängten Strafen bildete
die sozialdarwinistische Rassenlehre, in deren Sinn es war, das
Deutschtum im „Volkstumskampf“ gegen die Slawen zu schützen.
Seine Vorgesetzten beurteilten Trümper als dafür brauchbaren
Richter.
Nach dem Krieg gehörte Ferdiand Trümper in Duderstadt zu
den angesehenen Honoratioren der Stadt. Er war Mitglied in vielen
Vereinen, in Schulelternräten und im Pfarrgemeinderat. Als im Jahr
1965 die DDR ein „Braunbuch“ herausgab, in dem die
Wiederverwendung ehemals nationalsozialistischer Juristen im
Staatsdienst der Bundesrepublik Deutschland aufgedeckt wurde
und darin auch auf Ferdinand Trümper hingewiesen wurde, blieb
das in Duderstadt unbemerkt oder unbeachtet und stand auch
seiner Beförderung zum Oberamtsrichter nicht im Wege. Zur
Rechenschaft gezogen wurde er für die Justizverbrechen, an
denen er beteiligt gewesen war, nicht. Bei seiner Verabschiedung
aus dem Dienst erklärte er, er habe immer nur seine Pflicht getan.
Eine Schuld gestand er also nicht ein oder er hatte sie überhaupt
nicht eingesehen.
Einleitung
Viktoria P. war Polin
und lebte während
des Zweiten Welt-
krieges im Warthe-
land, also in einer
Region, die 1939
durch das „Dritte
Reich“ nach dem
Sieg über Polen
annektiert worden
war und als Reichs-
gau eingedeutscht
werden sollte.
Viktoria P. war 19
Jahre alt und be-
gehrte, wenigstens
für kurze Zeit her-
austreten zu können
aus der ihr zwangs-
weise zugeordneten
Rolle eines „rassisch
minderwertigen“
Menschen. Dieses
Begehren brachte sie
in Untersuchungshaft
und als Angeklagte
vor eine Kammer des
Sondergerichts in
Kalisch. Kalisch, so
hieß die an der
Warthe gelegene
polnische Stadt
Kalisz während der
deutschen Beset-
zung. Im Warthegau
galt das Recht des
NS-Staates, dem
auch Viktoria P.
unterworfen wurde.
Ihr Vergehen hatte
nach Auffassung des
Sondergerichts darin
bestanden, dass sie
als Angestellte in
einem deutschen
Haushalt um Weih-
nachten 1942 ein
BDM-Abzeichen,
welches in einem
Schlafzimmer auf
dem Fensterbrett
abgelegt war, an
zwei Tagen zeitweise
an sich nahm. Sie
hatte es – so die
Feststellung der
Richter - an ihrem
Mantelaufschlag
befestigt und war
damit in die Stadt
gegangen. Die Polin
wollte also als Deut-
sche erscheinen und
befristet Achtung und
Vorrechte der „Arier“
genießen. Zusätzlich
hatte sie auch ohne
BDM-Abzeichen
verbotenerweise
Gaststätten betreten,
die nur Deutschen
vorbehalten waren.
Beide Handlungen
verstießen gegen
nationalsozialistische
Rassenvorstellungen
und Rechtsbe-
stimmungen.
Nach eigenem
Verständnis ließen
die Richter
verhältnismäßige
Milde walten und
verhängten im
Hinblick auf Jugend,
bisherige Unbeschol-
tenheit und Reue der
Angeklagten fünf
Monate Straflager als
Sanktion, wobei die
Untersuchungshaft
von etwa zweieinhalb
Monaten auf diese
Strafe angerechnet
wurde. Straflagerhaft
aber war immer hart
und nie milde. Das
Gericht hatte ein
Unrechtsurteil ver-
hängt.
(BDM=Bund
Deutscher Mädel)