Anfragen der Geschichtswerkstatt an die Stadt Duderstadt 2009/2010
18 Gräber von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern während der NS-
Zeit in Duderstadt sind heute noch auf dem Stadtfriedhof zu finden. Viele,
könnte man denken. Aber das ist ein Irrtum. Es waren noch viel mehr. Über 90
weitere Gräber müssten Dokumenten in verschiedenen Archiven zufolge
vorhanden sein. Sie sind aber bei einem Gang über den Friedhof nicht
auffindbar.
Dabei handelt es sich bei diesen Gräbern ebenso wie bei den Grabstellen von
Soldaten um Kriegsgräber. Das „Gesetz über die Erhaltung der Gräber der
Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ bestimmt in § 2: Diese Gräber
„bleiben dauernd bestehen“.
Gibt es für das offensichtlich dennoch nicht dauerhafte Bestehen vieler
Kriegsgräber in Duderstadt eine nachvollziehbare, also harmlose Erklärung?
Erschienen der städtischen Friedhofsverwaltung die Gräber der ausländischen
Opfer der NS-Herrschaft weniger erhaltenswert als die der deutschen Soldaten,
die anscheinend vollzählig erhalten sind? Setzten sich damit rassistische
Unterscheidungen aus der NS-Zeit in Form unterschiedlicher Behandlung von
Kriegsgräbern je nach Herkunft der Toten auf dem Stadtfriedhof in Duderstadt
fort?
Die Geschichtswerkstatt Duderstadt hat die Stadt Duderstadt im Dezember
2009 mündlich und im Februar 2010 schriftlich um eine Erklärung für die
Nichtauffindbarkeit so vieler Gräber von früheren Zwangsarbeitenden gebeten.
Außerdem wies sie auf den nicht ordnungsgemäßen Zustand der vorhandenen
Gräber der früheren Zwangsarbeitenden hin. Laut Gräberverordnung sollen auf
dem Grabstein in gut lesbarer, dauerhafter Schrift der jeweilige Vor- und
Nachname, das Geburts- sowie Todesdatum und bei Ausländern auch die
Staatsangehörigkeit angegeben sein. Tatsächlich sind auf den Grabsteinen
überwiegend nur die Namen, aber nicht die Daten von Geburts- und Todestag
und nicht die Staatsangehörigkeit angegeben. Die Schrift ist zwar in die Steine
eingraviert, jedoch in Abhängigkeit vom Lichteinfall zumeist kaum lesbar.
Soldatengräber
Kriegsgräber sind laut Kriegsgräbergesetz auf Dauer zu erhalten. Alle
Gräber deutscher Soldaten, die in Duderstadt auf dem St.-Paulus-
Friedhof angelegt wurden, sind entsprechend erhalten und gepflegt.
Das galt und gilt nicht in gleicher Weise für etwa 170 Gräber von Aus-
ländern, die in Duderstadt Opfer des Nationalsozialismus und hier
begraben wurden.
Zu Anfang 1945 unterhielt die deutsche Wehrmacht in der Ziegelei
Bernhard in Duderstadt ein Kriegsgefangenen-Durchgangslager.
15 000 bis 20 000 Kriegsgefangene wurden hier durchgeschleust. Es
waren US-Amerikaner, Briten und Franzosen, darunter auchSoldaten,
die aus englischen und französischen Kolonien stammten. Sie wurden
auf dem St.-Paulus-Friedhof beerdigt. Doch wurden diese Gräber der
Kriegsgegner in Duderstadt wenig geachtet. Nach Ende des Krieges
beanstandete ein britischer Offizier ihren Zustand. Kinder pflegten
allerdings eines dieser Gräber.
Im Laufe der ersten Nachkriegsjahre wurden die Leichen der
Kriegsgefangenen exhumiert und in ihre Heimatländer überführt.
Gräber von Zwangsarbeitenden und Bewohnern des Lagers der
“Volksdeutschen Mittelstelle”
Im Jahr 2009 suchten Mitglieder der Geschichtswerkstatt Duderstadt
nach weiteren Kriegsgräbern, aber solchen von ausländischen
Zivilisten, die während des Zweiten Weltkrieges ums Leben
gekommen waren. 124 Gräber hätten es, Dokumenten in
verschiedenen Archiven zufolge, sein müssen. Aber nur 18 konnten
aufgefunden werden. Weitere Nachforschungen führten zu einer
Rasenfläche. Sie verbarg ein Sammelgrab mit 37 Toten. Einen
Hinweis darauf, dass es sich hier um eine Grabstätte handelte, fehlte.
Die danach immer noch nicht aufgefundenen 69 Gräber sind
eingeebnet worden. Diese Feststellung ergibt sich aus dem Umstand,
dass sie vorhanden waren und es jetzt nicht mehr sind.
Bei den anscheinend in den 1960er Jahren eingeebneten Gräbern
handelte es sich vor allem um solche von Opfern der NS-
Zwangsarbeit in Duderstadt, aber auch um einige von Bewohnern des
Lagers der “volksdeutschen Mittelstelle”. Letztere waren aus
deutschen Siedlungsgebieten in Südost- und Osteuropa “heim ins
Reich” geholt worden, dann aber vermutlich nach einer “rassischen
Überprüfung” nicht als Vollksdeutsche anerkannt worden, denn sie
wurden als Ausländer begraben.
Kindergräber
Die größte Gruppe der eingeebneten Kriegsgräber auf dem St.-
Paulus-Friedhof war die der Kinder, 34 an der Zahl. Es waren Gräber
der Kinder von Zwangsarbeitenden bzw. aus dem Lager der
“volksdeutschen Mittelstelle”, fast alle Säuglinge und kleinkinder. Die
Sterberate der ausländischen Kinder übertraf diejenige der deutschen
um ein hohes Vielfaches. Das ist ein Indiz für ihre schlechten
Lebensbedingungen im nationalsozialistischen Duderstadt. Eines von
ihnen war Stanislaw Chomenko. Er wurde am 30.12.1944 geboren
und starb am 6.2.1945. Seine Eltern, die Ukrainerin Nadia Chomenko
und der Pole Stanislaw Maronski, waren als Zwangsarbeitende auf
zwei verschiedenen Bauernhöfen in Duderstadt beschäftigt. Da sie im
“Dritten Reich” nicht heiraten durfte, gingen sie im Mai 1945 die Ehe
ein. Ihr erstes Kind, die Tochter Maria, überlebte den Krieg.
Denkmäler
Die Aufhebung und das Unsichtbarwerden so vieler Grabstätten von
ausländischen Opfern der NS-Zeit in Duderstadt entsprach keinem
würdigen Erinnern an die Toten. Dadurch wurde zugleich auch ein Teil
der Verbrechen, welche während der NS-Zeit in Duderstadt
geschehen sind, ebenso unsichtbar. Das war Teil einer Lücke im
historischen Gedächtnis der Stadt.
Die Geschichtswerkstatt Duderstadt machte 2010 ihren Befund über
den Zustand der Kriegsgräber auf dem St.-Paulus-Friedhof öffentlich
und forderte, die vorhandenen Gräber würdig zu gestalten und an die
eingeebneten zu erinnern. Zunächst stieß sie auf Unglauben. Doch
dann übernahm es eine Gruppe von Bürgern, bei dem Sammelgrab
ein Denkmal zu errichten. In ihrem Auftrag schuf der israelische
Künstler Reuven Schärf ein begehbares Mahnmal aus zwei parallel
aufgerichteten Stahlplatten mit je einer angedeuteten Türöffnung. Im
Innenraum sind die 37 Namen der Toten eingraviert. Die idee des
Künstlers war, den Betrachter durch das Denkmal zur Grabstätte
hinzuführen. Wer allerdings durch die Türöffnungen tritt, schaut dann
nicht auf ein Gräberfeld, sondern auf eine inzwischen angelegte
Rosenrabatte, die kein Merkmal einer Grabstätte besitzt. Hier hat die
Stadt Duderstadt noch einen Beitrag zur Vervollkommnung der
Grabanlage zu leisten.
Zur Erinnerung an die in den 69 eingeebneten Gräbern beerdigten
Menschen hat Udo Lange-Hesse im Auftrag der Geschichtswerkstatt
Duderstadt 2014 ebenfalls ein Denkmal geschaffen - das oben
abgebildete. 69 zu einer bizarren Steinlandschaft zusammengesetzte
Grauwacke-Bruchsteine, für jedes Grab einer, weisen mit ihren
unterschiedlichen Formen auf die menschlichen Individuen hin, die ihr
Leben verloren. Fünf dazugestellte Tafeln nennen namen und weitere
Lebensdaten. Das Denkmal wurde am 1. September 2014 eingeweiht.