Zur Geschichte des jüdischen Friedhofs
Vom Begräbnisort Viehweide zum Judenfriedhof
Im Juli 2011 wird der jüdische Friedhof in Duderstadt 140 Jahre bestehen. Dieses Jubiläum
sollte nicht stillschweigend übergangen werden, wie es z. B. beim 75. und 100. Jahrestag
der Einweihung der (1938 zerstörten) Synagoge oder bei 100. Jahrestag der Einrichtung des
jüdischen Friedhofs geschah.
Der jüdische Friedhof in Duderstadt
Über die Schaffung eines jüdischen Friedhofs am heutigen Gänseweg sind in der Literatur
unterschiedliche Zeitangaben zu finden. Genannt werden die Jahre 1867 und 1870 (Lerch,
Ebeling, Wagner, Schwedhelm). Beide Datierungen sind jedoch falsch, was unzweifelhaft
der Akte „Der Judenfriedhof in Duderstadt“ im Stadtarchiv Duderstadt (Dud2 Nr. 2362) zu
entnehmen ist.
Demnach wies am 8. März 1870 der damalige Vorsteher der jüdischen Gemeinde in
Duderstadt, Moritz Katz, den „Wohllöblichen Magistrat“ schriftlich auf einen nahezu
unglaublichen Missstand bei der Bestattung verstorbener Juden in Duderstadt hin. Der
jüdischen Gemeinde war für die Beerdigung ihrer Toten eine städtische Viehweide
zugewiesen worden, im Bereich des Sulbigbaches, etwa dort, wo sich heute der jüdische
Friedhof am Gänseweg befindet. Den Zeitpunkt dieser Zuweisung benannte Katz sehr vage
mit „früher“. Das Jahr 1867 wird er damit aber nicht gemeint haben, denn sonst hätte nicht
1871, also nur vier Jahre später, Nathan Levy als ältestes Mitglied der jüdischen Gemeinde
hinzugezogen werden müssen, um die Lage der Gräber auf der Weide zu bestimmen. Seit
wann Duderstädter Juden im Bereich „Untersulbig“ bestattet wurden, ist daher nicht zu
datieren. Es lässt sich nur spekulieren, ob nach der Wiederansiedlung von Juden in
Duderstadt dem 1813 gestorbenen Moses Eichholz als erstem Toten dort ein Grab
zugewiesen wurde.
Die misslichen Verhältnisse Jahrzehnte später, 1870, beschrieb Moritz Katz in seinem Brief
an den Magistrat so:
„Der Begräbnißplatz … entbehrt bislang einer Einfriedung, so daß er allem Vieh
zugänglich, sogar ausdrücklich damit behütet wird. Wenn schon im Allgemeinen die Pietät
gegen Verstorbene gebietet, die Begräbnißstätten in Ehren zu halten, so muß es gewiß für
deren Angehörigen schmerzlich sein zu sehen, wie ihre Gräber durch Behütung jeglichen
Viehes entweihet werden. Mehrfach ergangene Regierungsverordnungen verlangen deshalb
auch auf das Bestimmteste, dass die Begräbnißplätze eingehegt, gut im Stande erhalten und
Entweihungen durch Einlaufen des Viehes verhütet werden.
Unser Begräbnisplatz gleicht leider nur einem wüsten Orte, welcher durchaus nicht von
Achtung gegen die dort Ruhenden, wie es die religiöse Pflicht gebietet, zeugt.
Eine Schmückung der Gräber durch die Angehörigen kann nicht vorgenommen werden,
weil über kurz oder lang die (…) weidenden Heerden doch alles zerstören würden.“
Ein Ortstermin mit Vertretern der Stadt ein Jahr später, im März 1871, ergab zudem, dass
die Gräber nicht mehr alle sichtbar vorhanden und nicht alle beisammen geordnet angelegt
waren, sondern dass auch von „einigen vielleicht in entfernten Winkeln liegenden Leichen“
ausgegangen werden musste. Diese Formulierung deutet ebenfalls darauf hin, dass
gestorbene Juden bereits seit langer Zeit und nicht erst seit vier Jahren von 1867 an auf der
Weide beerdigt wurden.
Ein Friedhof ist als umfriedeter und nur als solcher genutzter Begräbnisplatz für Tote zu
definieren. Eine Ansammlung von Gräbern irgendwo, eine Anzahl von Grabstellen auf
einer Viehweide, die ungeachtet dessen uneingeschränkt weiter als Weide genutzt wird,
kann demnach nicht als Friedhof gelten.
Das Anliegen, das Katz in seinem Schreiben 1870 dem Magistrat vortrug, war ein
sofortiges und strenges Verbot, den Begräbnisplatz mit Vieh zu beweiden und ihn
baldmöglichst einfriedigen zu lassen. Was er in der Form einer „gehorsamsten“ Bitte
verlangte, war also, einen jüdischen Friedhof zu schaffen. Katz forderte damit überdies eine
Gleichstellung der Juden mit den christlichen Bewohnern der Stadt, deren Begräbnisplatz
„aus der städtischen Cämmereicasse beschafft, erhalten und eingefriedigt wird. Da wir
gleich den christlichen Confessionen hierorts gegen den Senat dieselben Pflichten haben,
so stehen uns selbstredend auch dieselben Rechte zu.“
Der von Katz beklagte bisherige Umgang mit der Bestattung verstorbener Juden lässt ein
erhebliches Maß an Antisemitismus im damaligen Duderstadt erkennen. Dagegen hatte sich
offenbar bis dahin die lange Zeit kleine jüdische Gemeinde nicht zur Wehr setzen können.
Durch die Eingabe von Katz allerdings sahen sich die Bürgervorsteher zum Handeln
veranlasst. Sie entschieden sich zu einer Lösung, die der jüdischen Gemeinde keine völlige
Gleichstellung mit den Christen der Stadt brachte. Im Sitzungsprotokoll vom 12. 4. 1870
wurde festgehalten:
„Auf den Antrag des Vorstehers der jüdischen Gemeinde zu Duderstadt vom 8. März 1870
wurde der jüdischen Gemeinde dafür an derjenigen Stelle im Untersulbig, wo der jüdische
Begräbnisplatz sich befindet aus Rücksichten der Pietät gegen die Verstorbenen eine Fläche
von 4 bis 5 Quadratruthen zu einem Friedhofe überwiesen. Mit dieser Bewilligung soll
jedoch eine Verpflichtung der Stadt zur Einräumung und Unterhaltung eines jüdischen
Friedhofs auf Kosten der Stadt nicht ausgesprochen sein.“
Auch für die Bürgervorsteher ging es also ausdrücklich damals darum, den pietätlosen
Zustand zu beenden und einen jüdischen Friedhof zu schaffen. Die entstehenden
Herstellungs- und Unterhaltungskosten sollte allerdings die jüdische Gemeinde
grundsätzlich selbst tragen. Das Bürgervorsteherkollegium beschränkte sich darauf, der
Gemeinde das Grundstück zur Verfügung zu stellen und außerdem einen Zuschuss in Höhe
von 25 Talern zu gewähren.
Mit der Ausführung dieses Beschlusses ließ man sich jedoch Zeit. Erst ein Jahr später, im
März 1871, steckten Vertreter der Stadt die Grenzen des künftigen jüdischen Friedhofs auf
der Viehweide im Bereich des Untersulbigs ab. Dabei ergab sich, dass die vorgesehene
Fläche von bis zu fünf Ruten nicht genügte, weil die „sichtbar vorhandenen Gräber mit
eingefriedet werden sollten und der anderweitige zur Begräbnisstätte noch übrig
bleibende Raum kaum für 25 bis 30 Leichen ausreicht“. (Moritz Katz hatte 1870 die
Anzahl der jüdischen Gemeindemitglieder mit 29 angegeben.) Daher beschlossen die
Bürgervorsteher am 15. März 1871, „zur Einrichtung eines jüdischen Friedhofes“ eine
Quadratrute „Weide-Areal weiter einzuräumen“ – also insgesamt 6 Quadratruten, was etwa
180 m² entspricht. Wiederum ging es also dem Verständnis der Bürgervorsteher nach um
die Einrichtung eines jüdischen Friedhofs. Und am 31. Juli 1871 bat dann Katz den
Magistrat, den bewilligten Zuschuss in Höhe von 25 Talern an den Maurermeister Mühlau
zu überweisen, da er „die Einfriedigung unseres Friedhofes beendet hat“. Hier verwendete
auch Katz zum ersten Mal das Wort „Friedhof“ anstelle von „Begräbnisplatz“.
Den Juli 1871 als Datum der Schaffung eines jüdischen Friedhofs in Duderstadt zu
verstehen, entspricht also nicht nur einer Definition aus heutiger Sicht, sondern auch der
zeitgenössischen Beurteilung des Sachverhaltes. - 1881 übrigens setzte sich Moritz Katz
dann dafür ein, dass „unser Friedhof einen Weg von der Chaussee aus erhält“.
(Götz Hütt)
Erfolgreiche
Intervention:
Der Vorschlag der
Geschichtswerkstatt
Duderstadt, im Jahr
2011 an das 140-
jährige Bestehen des
jüdischen Friedhofs in
Duderstadt zu
erinnern, wurde
aufgegriffen. Der
Landesverband der
jüdischen Gemeinden
von Niedersachsen
und die Stadt
Duderstadt
renovierten die
Einfriedung des
jüdischen Friedhofs,
die Stadt beging die
Feier zum Gedenktag
27. Januar für die
Opfer der
nationalsozialistische
n Gewaltherrschaft
dort.
Die Geschichte der
jüdischen Gemein-
de in Duderstadt
1812-1942 und ihre
Nachgeschichte,
2012, 184 S., 14 €
Literatur: